Rückschau 2007

Christian Schmutz (30. Januar, Einführung Edith Lohner, Kaleidoskop) erläutert die Eigenheiten des "Senslerdeutschs", also des im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg – im Sense-Bezirk – gesprochenen Dialekts, der nicht nur durch eigentümliche Wörter wie "Bärisou" (=Parasol, Regenschirm), sondern auch durch seine eigenwillige Lautung auffällt: "Gschicht" wird zu "Gschücht", "Baum" zu "Boom" usw. Ausserdem las er drei lokale Sagen und eine eigene Geschichte.
Mit viel Witz und Charme erzählte er, wie einige Jungs am Hang vor dem Haus ein Skirennen organisierten ind dabei um selber gebastelte Medaillen fuhren – "fascht wie am Lauberhorn".
Rolf Spriessler, RZ, 2. 2. 07

Urs Allemann (15. Februar 2007) Robert Walser – Urs Allemann (15. Februar): Für diese Lesung unter dem Motto "Der ungeliebte Verslimacher" hat der Lyriker, Kritiker und Rezitator Urs Allemann rund dreissig der un- und verkannten Gedichte Robert Walsers ausgewählt, kommentiert und wunderbar vorgetragen, so dass ein ganz neues Bild eines eigenwilligen, widerborstigen, freiwillig komischen und stark von Dada beeinflussten Dichters entstand und sich den erfreulich zahlreichen Zuhörern unvergesslich einprägte.
Als bewährter Vorkoster namentlich von experimenteller Poesie kann Urs Allemann poltern, dass es eine Lust ist … Im Kellertheater aber nahm er sich ungemein zurück; er las die Reimketten Walsers geradezu leise. Als ob er sie hätte verstecken wollen, weil sie so kostbar, so zerbrechlich sind …
Urs Grether, RZ 23. 2. 07

Lukas Hartmann (6. März, Einführung Valentin Herzog): "Die letzte Nacht der alten Zeit", Hartmanns vierter Roman zur Geschichte der Schweiz, schildert den Untergang der alten Eidgenossenschaft (März 1798) aus der Perspektive des Berner Schultheissen Steiger, seines Adjutanten Dubi und der Magd Maria. So überlegen und gekonnt der Autor die dramatischen Ereignisse auf diese drei Protagonisten konzentriert und von ihnen her wieder spannungsreich auffächert, so perfekt gestaltet er auch seine Lesungen.
Die schiere Beiläufigkeit, mit der die ganze Epoche in den Leser einsickert, verrät die Meisterschaft des Romanautors.
Urs Grether, RZ 9. 3. 07

Serhij Zhadan, Ljubko Deresch und Oksana Sabuschko (20. März, Gemeinschafts-veranstaltung mit dem Literaturhaus Basel. Moderation Ilma Rakusa – im Literaturhaus): Die drei Autoren vertreten die jüngste und die jüngere Generation der ukrainischen Literatur. Das Publikum der ARENA – und des Literaturhauses – erlebte mit ihnen einen fulminanten zweisprachigen Abend mit Textproben aus "Depeche Mode", "Die Anbetung der Eidechse" und "Feldstudien über ukrainischen Sex", Statements und Diskussion. Musikalisch wurde die Veranstaltung von Dmitri Batin (Akkordeon) umrahmt.
Rakusa … war voll des Lobes für die äusserst beliebte zornige "Vitalität und ungeheure Sprachkraft", die "in unseren Breitengraden gar nicht mehr da" sei. Gewiss hängt hier … der Segen einer drallen Aufbruchs- und Gründerzeit …
Urs Grether, RZ 23. 3. 07

Rudolf Bussmann (17. April, Einführung Urs Allemann): Zwei Jugendfreunde, Ottavio und Juan, begegnen sich nach langer Zeit in unerwarteten Rollen: Juan ist eigenwilliger Spezialist für Betriebssanierungen, Ottavio Kadermitglied der zu sanierenden Firma. In einer "langen Nacht der Rechenschaft" (Allemann) erzählt Ottavio, der unter aggressivem Auftreten hohe Sensibilität versteckt, dem zum kalten Zyniker gewordenen Juan aus seinem Leben. In seiner sehr konzentrierten Lesung liess Bussmann vor allem den Frauenhelden Juan plastisch werden.
Rudolf Bussmann las … aus seinem neuen Roman. Nach einem kurzen, sehr einfühlsamen Geleitwort von Urs Allemann, breitete Bussmann seine sorgfältig gearbeitete Komposition aus. Er las wohltuend unaufgeregt.
Urs Grether, RZ 20. 4. 07

Thomas Brunnschweiler und Beat Rink (3. Mai im Gartensaal, Moderation Valentin Herzog): Unter dem Motto "Antwort erbeten" sprechen zwei literarisch tätige Theologen über Motive, Zielsetzung und Eigenheiten ihres Schreibens und lesen Kostproben aus ihrem Schaffen: Erzählungen (Brunnschweiler) und Aphorismen ( Rink).
Thomas Brunnschweiler las kleine Alltagsbeobachtungen, die ihm als Fragmente für spätere Kurzgeschichten dienen. […] Rinks sorgfältig gebaute Worthäppchen entlockten dem Publikum … erstauntes Lachen, wenn eine Pointe unvermittelt aufging: "Beim Korrigieren eines Aphorismus: Ein letzter Schliff und er ist weg."
Sibylle Meyrat, RZ 11. 5. 07

Daniel Goetsch (12. Juni, Einführung Elke Müller) präsentiert seinen dritten Roman: "Ben Kader",die faszinierende Geschichte einer Identitätssuche zwischen einer gefährdeten Liebes- und einer belastenden Vaterbeziehung, zwischen ungewisser Zukunft und schlimmen Erinnerungen – und zwischen helvetischer Normalität auf der einen, den langen Schatten einer armenisch-französisch-algerischen Familiengeschichte auf der anderen Seite. Aufschlussreiche Diskussion: Goetschs Vorfahren mütterlicherseits waren Algerienfranzosen.
Araber, Franzose, Italiener – im Roman von Daniel Goetsch werden sie als Zuschreibungen von aussen sichtbar, die zwar identitätsstiftend, aber höchst fragwürdig sind. Araber als die anderen, ald Bedrohung für die westliche Welt schlechthin – dieser Diskurs … gab den Anstoss zu seinem äusserst lesenswerten Buch.
Sibylle Meyrat, RZ 15. 6. 07

Wolfgang Bortlik (4. September im Gartensaal der Alten Kanzlei, Einführung Valentin Herzog) liest eine gekürzte Fassung des Textes "Ambrosiaherz", den er dankenswerterweise für das ARENA Jahresheft aus dem "Steinbruch" eines in Arbeit befindlichen Romans zusammengestellt hat. Es geht darin um einen Herrn Fischer, einen Intellektuellen, dem das Leben "ziemlich durcheinander geraten" ist und den Frau und Kinder verlassen haben. Während der Ferien soll er das schmucke Einfamilienhäuschen seiner Gattin (in Riehen) hüten, Katze füttern, Blumen giessen – eine anspruchsvolle Tätigkeit, bei der ihm pausenlos die wildesten Fehlleistungen passieren.
Auch für diesen Text sowie für Bortliks satirische Gedichte gilt was die taz seinerzeit über ihn schrieb: "Überall gibt es Feindbilder, auf die Bortlik mit Lässigkeit eindrischt."
Bortlik schaffte es, alle für seinen Humor zu begeistern und dem Publikum Lacher zu entlocken.
Joëlle Homberger, Badische Zeitung, 6. 9. 07

Hanna Johansen (18. September im Gartensaal der Alten Kanzlei, Einführung Katja Fusek) stellt mit einer dramaturgisch gekonnt gestalteten Lesung der beiden Anfangskapitel ihren neuen Roman "Der schwarze Schirm" vor. Es geht dabei um zwei extrem gegensätzliche Frauen, die sich in einem Zug begegnen und deren Schicksal sich auf ebenso zufällige wie verhängnisvolle Weise miteinander verknüpft. Mit der Art ihres Vortrags gelingt es der Autorin, die äusserst subtile Ironie, mit der sie Claire und Rose betrachtet, wirkungsvoll zur Geltung zu bringen.
Meisterhaft zugespitzte Dramaturgie und Feinabstimmung …Was für ein lohnender Abend.
Urs Grether, RZ, 28. 9. 07

Homer und Urs Allemann: "Die Odyssee berndeutsch" (30. Oktober im Gartensaal der Alten Kanzlei – Kaleidoskop). Nach einer brillanten Einführung, die Ilias und Odyssee als Werke an der Nahtstelle zwischen mündlicher Überlieferung und schriftlicher Fixierung charakterisierte, las Allemann vor einem überraschend zahlreichen und höchst interessierten Publikum den ganzen fünften Gesang des von Albert Meyer ziemlich frei ins Berndeutsche übertragenen Epos: Den Rat der Götter, Hermes' unangenehme Mission bei Kalypso, den Flossbau, die Meerfahrt und schliesslich den furchtbaren Sturm, in dem Odysseus trotz allem untergegangen wäre, hätte nicht die freundliche Galathea ihn mit ihrem Schleier und guten Ratschlägen gerettet. Ein fabelhafter Abend, der bewies, wie lebendig und fesselnd Homers Dichtung – richtig präsentiert – auch heue noch sein kann.

Michael Schneider (1. November im Cagliostro-Pavillon, Riehen, Einführung G. Ravasio vom Verlag Kiepenheuer & Witsch): Mit geschickt ausgewählten Passagen und eingestreuten Zauberkunststücken präsentierte der Autor an diesem historischen Ort seinen voluminösen Roman "Das Geheimnis des Cagliostro". Schneiders Anliegen ist es, dem verrufenen Hochstapler insofern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als er dessen "ganzheitlichen" Ansatz bei der Behandlung Kranker und darüber hinaus seinen sozialen Einsatz für die Armen und Ärmsten aufzeigt.
Ein packender Roman, der die Leser in die Lebens- und Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts eintauchen lässt.
Sibylle Meyrat, RZ, 9. 11. 07

Navid Kermani (15. November im Kellertheater, Einführung Valentin Herzog) stellte seinen jüngsten Roman "Kurzmitteilung" vor, las daneben aber auch eine der Erzählungen aus "Du sollst" und eine seiner mit raffiniertem Witz und viel Selbstironie geschriebenen Kolumnen. So entstand ein differenzierteres Bild vom Schaffen des Autors, als man es bekommen hätte, wenn er nur aus seinem Roman gelesen hätte, der als Rollenprosa (eines kaltschnäuzigen Machers mit psychischen Defiziten) so überzeugend ist, dass man Gefahr läuft den Autor mit dem Ich-Erzähler zu verwechseln.
Kermani, der nicht nur Schriftsteller, sondern ebenso habilitierter Orientalist ist, [gestaltet] auf provokante Art die Begegnung von Tradition und Moderne, Islam und dem Westen, indem er seine Protagonisten über gegenseitige Vorurteile lästern lässt.
Sibylle Meyrat, RZ, 23. 11. 07

Anita Siegfried ( 4. Dezember im Kellertheater, Einführung Elke Müller) las aus ihrem facettenreichen Roman über Ada Lovelace Byron: "Die Schatten ferner Jahre". Ada war nicht nur die Tochter des grossen Dichters, den sie nie gekannt hat, dessen romantisch-exzessive Persönlichkleit sie aber zunehmend faszinierte – Ada war auch eine begnadete Mathematikerin, die zusammen mit Babbage die Grundlagen fürs Programmieren digitaler Maschinen entwickelte. Und sie war selber eine exzentrische Gestalt, verstiess laufend gegen die Normen ihrer Gesellschaft und starb sehr jung an Krebs. Neben der eigentlichen Lesung gab Anita Siegfried freimütige Einblicke in ihre Arbeitsweise.