Rückschau 2022


Veronika Sutter (20. Januar 2022 im Kellertheater, Moderation Katja Fusek). Die mit ihrem literarischen Erstlingswerk "Grösser als du" (edition 8) für den Schweizer Buchpreis 2021 nominierte Autorin thematisiert die Erfahrung von Gewalt. Helen, Gloria oder Anni leben mit einem Geheimnis, über das sie nicht sprechen können. Die Autorin lotet gefährliche Beziehungsmuster aus und schildert den Moment, wenn Liebe in Gewalt und Abhängigkeit umschlägt. Subtil und spannungsreich hinterfragt die Autorin gesellschaftliche Stereotype. Ihre Geschichten sind reich an skurrilen Momenten und unverhofften Wendungen, die eine Befreiung oder schonungslose Einsicht möglich machen.

Gebannt lauschte das Publikum Sutters Stimme. Sehr trocken und präzis werden Stimmungen, Momente und Ungeheuerlichkeiten beschrieben, die unter die Haut gehen. Beim Zuhören drängt sich die Frage auf, warum sich die Betroffenen nicht aus ihren Beziehungen lösen können. Das Problem liege in der Abhängigkeit, man klammere sich an die Hoffnung …(Nadja Tamm, RZ 28. 1. 2022)

 

Gabrielle Alioth (22. Februar 2022 im Kellertheater, Moderation Valentin Herzog) stellt ihren neuen Roman "Die Überlebenden" vor, in dem es schwerpunktmässig um eine Enkelin (Vera) und einen Enkel (Max) des Schaffhauser Bäckermeisters August Stutz geht: Sie lebt als Naturwissenschaftlerin in Norddeutschland, er als Helikopterpilot in den USA. Die Familie ist also auseinandergebrochen, und doch bestehen noch – zum Teil heftige – Gefühlsbeziehungen.

[Alioth] las Passagen aus dem ganzen Handelsspektrum … sogar den Anfang und das Ende wollten sie dem Publikum nicht vorenthalten. Und dennoch gelang es ihr, nicht zu viel zu verraten, sondern … durch die ausgelassenen Stellen Spannung zu generieren. (Nathalie Reichel, RZ 25. 2. 2022)

 

Max Küng (17. März 2022 im Kellertheater, Moderation Wolfgang Bortlik) berichtet über die Entstehung seines Romans "Fremde Freunde" und liest einige eher kurze Passagen, die ein lebhaft ironisches Bild von den sechs Menschen geben, die sich in der Hoffnung auf entspannte Ferien in einem Haus in der Franche-Comté zusammengefunden haben. Wie diese Hoffnungen enttäuscht werden, deutet sich nur ganz von ferne an. (Erfreulich guter Besuch!)

Mit viel Humor und scharfem Beobachtungsvermögen erzählt Küng von den Tücken und Ambivalenzen des Urlaubs, dem Ferienstress, wenn man mit Bekannten plötzlich zwei Wochen im gleichen Haus verbringt und sich dabei auch noch erholen soll … (Nadja Tamm in der RZ vom 25.3. 2022)

 

Markus Manfred Jung und Uli Führe als musikalischer Begleiter (5. April im Saal des Meierhofs – Moderation Nicole Hausammann – Kaleidoskop in der ARENA). Im Sommer 2018 hat Jung eine Wanderung vom Südschwarzwald bis nach Norditalien unternommen und dabei lebendige Details in einem Tagebuch notiert (in seinem alemannischen Dialekt). Später hat er weiterführende Gedanken, Erinnerungen und Reflexionen auf Schriftdeutsch hinzugefügt. So ist das kürzlich erschienene Buch "Nebelgischt"

entstanden. Es ist ein wunderbar persönliches, unmittelbar ansprechendes Buch. Die Wechsel von einer Sprachebene zur anderen kommen vollkommen natürlich aus dem Mund des Autors. Uli Führe begleitet die Lesungen mit Improvisationen auf seiner elektronischen Violine. (Auch diese Veranstaltung ist sehr gut besucht.)

Es war ein spezieller Abend – Moderatorin Nicole Hausammann betonte es schon zu Beginn: Speziell, weil das im Kaleidoskop … vorgestellte Buch diesmal keine reine Dialekterzählung ist; weil die Lesung musikalisch begleitet wurde […] Der Schriftsteller … berichtete vom befreienden Gefühl des Aufbruchs und von seiner Vorfreude auf das Ungewisse, machte aber auch kein Geheimnis daraus, dass er sich mehrmals verlief … der Weg auch mal ungemütlich und anstrengend wurde … (Nathalie Reichel, RZ 8. 4. 22)

 

Wolfgang Bortlik, Katja Fusek, Valentin Herzog und Armin Zwerger (5. Mai im Kellertheater) stellen ihr ARENA-Buch "Das ausgefallene Jahr" vor: 

Der bei Reinhardt erschienene Band enthält vor allem Kurzgeschichten, welche die im Vorstand der ARENA tätigen Autorin und Autoren während des Covid-Jahres für die Riehener Zeitung geschrieben und dort unter dem Sammeltitel "Aus Riehener Federn" veröffentlicht haben.

In einigen dieser Texte geht es um die Erfahrungen mit der Pandemie und den dagegen ergriffenen Massnahmen. Die meisten aber sprechen – nachdenklich oder humorvoll – von menschlichen Begegnungen, kritischen Beobachtungen oder gesellschaftlichen Verhaltensweisen, also von den Themen allen literarischen Schreibens. So ist ein Dokument entstanden, das von der Vielfältigkeit literarischen Schaffens im nordwestlichsten Zipfel der Schweiz zeugt.

Einige lustig, andere tiefgründig und wiederum andere mit direktem Bezug zur Realität vermochten alle Autoren mit ihren Kurzgeschichten inhaltlich zu überzeugen … Spannung aufzubauen und gute Pointen zu setzen. (Nathalie Reichel, RZ 13. Mai 2022)


Valentin Herzog stellt seinen neuen Roman "Zeitscherben oder die aufgehobene Zeit" (IL Verlag) im Rahmen der Saisoneröffnung am 25. August im Festsaal des Landgasthofs vor. Moderation Katja Fusek. Einleitend teilt Herzog mit, dass er nach nunmehr 43 Jahren den Vorsitz der ARENA abgibt, und zwar an Katja Fusek. Er wird aber weiterhin im Vorstand mitarbeiten. Anschliessend liest er einige Passagen aus dem ersten und zweiten Teil des Buches und stellt dabei die von Katja Fusek als besonders wichtig bezeichnete Beziehung zwischen der alten Frau Clara und dem jungen Studenten Roman in den Mittelpunkt, gibt aber auch zwei Beispiele für die titelgebenden "Zeitscherben": die Lebensläufe zweier Menschen, welche die Zeit, also die Geschichte der letzten Jahrzehnte sehr unterschiedlich erfahren haben.

Ein mutiger Roman … [dessen] Figuren glaubwürdig und berührend rüberkommen. (Roswitha Frey, Badische Zeitung 28. 8. 22).

 

Frank Heer stellt seinen neuen, zweiten Roman "Alice" (Limmat 2022) vor, teilweise im Dialog mit seinem Kollegen Jürg Plüss, der immer wieder vehemente Schlagzeugeinsätze liefert (Donnerstag, 22. September um Kellertheater. Einführung Wolfgang Bortlik).

Die vorgelesenen Abschnitte aus dem Buch schildern eine Rückkehr der Erzählerfigur Max Rossmannn in ein ihm fremd gewordenes, reichlich spiessbürgerliches Elternhaus, seine ersten Begegnungen mit der wunderbaren Nachtclub-Sängerin Alice und in Rückblende verschiedene Szenen mit seiner vorherigen Geliebten, die ebenfalls Alice hiess. Das alles ist "geschickt erzählt voll Leben und Leidenschaft … eine vertrackte Liebesgeschichte, ein Krimi und ein Zeitdokument." (Wolfgang Bortlik)

Die Toneffekte und musikalischen Einlagen überzeugten: Sie begleiteten die Erzählung gut und machten sie lebendig: Pfiff es in der Geschichte, so pfiff es auch in echt … (Nathalie Reichel, RZ 30. 9. 22)



Peter Gisi (Donnerstag, 20. 10. Im Kellertheater, Moderation Katja Fusek) stellt seinen Roman "Mutters Krieg" vor, der davon berichtet, wie der Autor nach Holland reist, um seine Mutter nach ihren Erinnerungen an ihre Kindheit auf Java während des II. Weltkriegs zu befragen. Diese Passagen fügt er zwischen die Kapitel ein, die seinen eigenen Kindheitserinnerungen gewidmet sind. So entsteht ein zweistimmiges Werk, das nicht anklagt, sondern zu erforschen versucht, was sich unter der Oberfläche verbirgt. In knappen, ausdrucksstarken Episoden geht er der Frage nach, wie sich erlittene Traumata auf nächste Generationen auswirken und wie diese damit leben. Peter Gisi entdeckt die Kraft der Fantasie, der Bilder und des Schreibens, die ihm zu einer erstaunlichen Widerstandsfähigkeit verhelfen.

In den vorgelesenen Passagen erfuhr das Publikum zum Beispiel, dass Gisis Mutter, die als Kind in zwei Internierungslager kam …nur kurz von ihrer Zeitung aufgeblickt habe, als ihr Sohn mit einem blutigen Knie aufgetaucht sei. […] Diese Passagen tun dem Buch und der Erzählung gut. (Nathalie Reichel, RZ 28. 10. 2022)


Wolfgang Bortlik: "Basler Gleichstand" (8. November 2022 im Kellertheater, Moderation Valentin Herzog). Der Autor liest mehrere Kapitel aus seinem jüngsten Basler Krimi (Verlag Gmeiner), in denen es weniger um die zwei Morde an einem Bankier und einem engagierten, aber etwas zwielichtigen Grünen geht als um den Privatdetektiv, Literaten und Anarchisten Melchior Fischer, um seinen Sohn Tim, um den eben verstorbenen Mäzen Faller und um das Kulturleben in Basel und in der Schweiz. Eine gut besuchte Veranstaltung mit interessanten Fragen des aufmerksamen Publikums – ein Zuhörer verwies darauf, dass Bortliks kräftige Sprache beim Zuhören besser zur Wirkung komme als beim stillen Lesen und wagte sogar einen Vergleich mit Homer.

Gezeigt hatte der Abend, worauf es Bortlik wirklich ankommt: Gedanken zur Zeitgeschichte – Klimastreik, Corona, Basler Zustände und Realitäten. Seitenhiebe an die Basler Politik, speziell auch die Kulturpolitik, der er sehr skeptisch gegenüberstehe … Es sei viel Geld da im Kulturbereich, aber die Kulturbürokratie sei gross und teuer … (Rolf Spriessler in der RZ vom 11. November 2022)

 

Denise Buser (29. November. Kellertheater, Moderation Katja Fusek) liest nachdenkliche und zugleich humorvolle Fabeln aus ihrem neuen Buch "Sechs Beine stolpern nicht". Ausgehend von bald grotesken, bald schlimmen Zeitungsnotizen – diese wurden von Pascal Tamm gelesen – gestaltet Buser moderne Fabeln, in denen häufig auch Tiere sprechen, die im klassischen Fabelrepertoire nicht vorkommen, etwa eine Küchenschabe oder eine Schildlaus. So entsteht ein Band, der "unsere modernen Lebensthemen wie Hoffnung … Angst, Klimaschutz, Freundschaft und Zweifel … tiefsinnig und humorvoll" (Katja Fusek) zur Sprache bringt. Hier darf ein Reh die Umgebung plötzlich "mit den Augen Hoppers" sehen und ein Esel übers Jenseits nachdenken, was ganz selbstverständlich wirkt, wenn man zuvor eine Pressemeldung über einen zu Corona-Zeiten Weihwasser mit der Spritzpistole verteilenden Priester gehört hat.

Neben ihrer juristischen Karriere schreibt Buser seit Jahren literarisch ... Auslöser für ihren zweiten Fabelband war die Coronazeit ... Alter und Tod sind nur einige der vielen Themen, die Buser mit feinem Humor und ironischer Distanz behandelt ... Auf ihre nächsten Texte müssen wir hoffentlich nicht wieder zehn Jahre warten. (Nadja Tamm, RZ 9. 12. 22)