Rückschau 2018
Valentin Herzog (Donnerstag, 29. November, Moderation Katja Fusek) stellt seinen neuen Roman Das Haus in der Maremma (IL-Verlag) vor: Dem
Ingenieur Gehren misslingen gleich zwei Lebensentwürfe: Sowohl das
bürgerliche Leben mit Frau, Kindern und Einfamilienhaus als auch die
Flucht ins Ausland sowie die grosse Liebe dort. Was ihm bleibt, ist ein
verwüstetes Landhaus in der Maremma, das er Zimmer für Zimmer wieder
aufbaut und so den Weg zurück ins Leben findet. (Fritz Frey).
Herzog ist nicht nur ein begnadeter Schriftsteller, der
die Erzählkunst beherrscht und auf eindrückliche Weise verschiedene
Erzählperspektiven, Rückblenden und Binnenerzählungen verbindet,
sondern auch ein einnehmender Vorleser.
(Loris Veranelli, RZ 7. 12. 2018)
Angelika Waldis (Donnerstag, 15. November 2018,
Moderation Valentin Herzog) erzählt in ihrem jüngsten Roman Ich komme
mit von einer älteren Dame (Vita Meier), die ihres Witwenlebens
allmählich überdrüssig wird, und von einem jungen Mitbewohner ihres
Hauses (Lazy Laval). Dieser ist glücklich verliebt in eine Mitstudentin,
lebensfroh und unternehmungslustig, bis er plötzlich erkrankt, sich
qualvollen Chemotherapien unterziehen muss – und zuletzt doch nur eine
Diagnose erhält, die kaum noch Hoffnung lässt. Er beschliesst
«abzuhauen», aber als Frau Meier, die sich aufopfernd um ihn gekümmert
hat, plötzlich erklärt: «Ich komme mit», da fassen die beiden noch den
Mut zu einer abenteuerlichen Anatolien-Reise vor dem geplanten Freitod.
Die Art und Weise, wie Angelika Waldis erzählt, ist
anders, erfrischend, inspirierend. Ire Sprache wirkt jung, wird von
neuen, ungewöhnlichen Bildern begleitet. […] Das ist spannend,
unterhaltsam, anregend …
(Rolf Spriessler, RZ 23. 11. 2018)
Pierre Kretz (Donnerstag, 25. Oktober,
Kaleidoskop – Moderation Edith Lohner) liest aus seinem
Elsässerdeutschen Monolog Ich ben a beesi Frau, worin eine alte
Elsässern voll Bitterkeit, aber auch mit Lust an satirischen Effekten
mit ihrem Schicksal, mit ihrem Dorf, ihrer Familie und nicht zuletzt mit
ihrem versoffenen Gatten (einst ihrem Vergewaltiger) abrechnet. Dass
die «beesi Froi» sich mit der Claire Zachanassian aus Dürrenmatts Besuch
der alten Dame identifiziert, ist kein Zufall: Einst wollte sie das
Stück mit dem Laientheater ihres Dorfs aufführen, ist mit diesem
Vorschlag aber nicht durchgekommen.
… ein Meisterstück der Mundartliteratur. Dem Autor
Pierre Kretz gelingt es in fantastischer Weise, seiner Figur eine Stimme
zu geben, die passt … Ein äusserst eindrücklicher Abend.
(Rolf
Spriessler, RZ 2. 11. 2018)
Jusuf Yeșilöz (Donnerstag, 20. September,
Moderation Katja Fusek) stellt seinen neuen Roman Die Wunschplatane vor,
worin ein namenloser Ich-Erzähler (Schriftsteller und in der Schweiz
lebender Kurde) von seinem Besuch in einem Städtchen erzählt, wo er
crative writing unterrichten soll und gleich zu Beginn dem ebenfalls
kurdischen Döner-Wirt Safir begegnet. Dieser leidet unter einem schweren
Trauma: Sein einziger Sohn ist homosexuell, was in der kurdischen
Gesellschaft ein absolutes Tabu ist. Yeșilöz liest menschlich sehr
berührende Passagen, allerdings so leise und oft undeutlich, dass viele
Besucher grosse Probleme haben, ihn zu verstehen – trotz Mikrofon.
Schade.
Die Sprache und die Art und Weise wie sie Yusuf Yeşilöz
liest, das lässt das Publikum in eine ganz eigene, eine poetische und
gemächliche Welt eintauchen.
(Rolf Spriessler, RZ 28. 9. 2018)
Hans Platzgumer (Dienstag, 28. August, Moderation
Wolfgang Bortlik) liest zur Saisoneröffnung aus seinem neuen Roman Drei
Sekunden Jetzt – zunächst Passagen vom Anfang, worin der Ich-Erzähler
François über Finden und Gefundenwerden nachdenkt und sein Schicksal
gegen das eine anderen Gefundenen (Lucie aus Dakar) hält. Dann noch jene
späteren Passagen, in denen erzählt wird, wie seine Mutter ihn in der
Bücherabteilung eines Warenhauses stehenliess. Im Gespräch mit Wolfgang
Bortlik geht es dann um die Frage, wie sich die Identität eines Menschen
definiert, wie bestimmend das Wissen um Herkunft, Eltern usw. dafür
ist.
Hans Platzgumer erzählt präzis und detailreich, salopp,
trocken und doch mit feinem Humor, geradeheraus und doch auch
feinsinnig-hintergründig, derb und dann doch wieder in sorgfältig
gewählten Formulierungen …
(Rolf Spriessler, RZ 31. 8. 2018)
Regula Portillo (Dienstag, 5. Juni,
Einführung Nicole Hausammann) liest aus ihrem neuen Roman Schwirrflug,
edition bücherlese. Der Roman-Erstling der Solothurnerin Regula Portillo
behandelt ein ernstes Thema, den Bürgerkrieg in Nicaragua. Erst nach
dem Tod der Mutter erfahren zwei Schwestern von der abenteuerlichen
Jugend ihrer Eltern. Diese waren in den frühen 80er-Jahren mit anderen
jungen Europäern aufgebrochen, um den Nicas auf ihrem Weg in eine
sozialistische Zukunft beizustehen. Sie halfen den Bauern, im
Gesundheitswesen, beim Aufbau von Kindergärten. Der Roman pendelt
zwischen der Sicht der Mutter Ruth und der Perspektive Almas, der
älteren Tochter, die sich vielen Fragen gegenübersieht.
Dass die Autorin viel zu Nicaragua zu sagen hat … ist
unbestritten. Sie kennt Nicaragua aus eigener Erfahrung […] Die
Geschichte ist erfunden … die Umstände aber, die politischen und
historischen Hintergründe, die stimmen.
(Rolf Spriessler, RZ 8. 6. 2018)
Markus Ramseier (Dienstag, 8. Mai 2018, Einführung Wolfgang Bortlik)
Der in Pratteln lebende Markus Ramseier erzählt in seinem
neuen Roman "In einer unmöblierten Nacht" die Geschichte einer scheinbar
idealen Beziehung. Der erfolgreiche Schweizer Geschäftsmann Victor ist
ein fanatischer Kunstsammler. Die junge, mausarme Ukrainerin Yana hilft
ihm im Moskauer Puschkin-Museum bei einer Expertise als Übersetzerin.
Die beiden werden ein Paar und heiraten in der Schweiz. Trotz aller
Verschiedenheit der Herkunft scheinen (!) sie ein perfektes Paar zu
sein. In dem innerhalb des ARENA-Teams heftig umstrittenen, beim
Publikum aber sehr gut ankommenden Roman geht es unter anderem auch um
die Kommerzialisierung der Kunst und die fatale Selbstverständlichkeit
von Luxus in der Schweiz. Der Text ist auch ein Blick von aussen auf
unser Land.
Ramseier versteht es, Situationen zu schaffen,
Beklemmung beklemmend wirken zu lassen, Träume frei und leicht, und mit
dem Fortgang der Geschichte merkt Yana, dass hinter der … Souveränität
ihres zu Beginn so vergötterten Victor nichts steckt.
(Rolf Spriessler, RZ 11. 5. 2018)
Werner Ryser (Dienstag, 24. April 2018,
Einführung Valentin Herzog). Der Autor stellt seinen dritten
historischen Roman Die Revoluzzer vor, in dem es über die der
Kantonstrennung (1832) vorangehenden Unruhen im Baselbiet geht. Die vier
gelesenen Passagen schildern vor allem die brutale Unterdrückung der
leibeigenen Bauern und die Auseinandersetzungen in den 1790er Jahren,
wenn sich die Ideen der Französischen Revolution – liberté, égalité,
fraternité – auch hier und ebenso unter fortschrittlich denkenden
Bürgern der Stadt verbreiten. Die private Geschichte, vor allem die
Liebesbeziehung zwischen der Patrizierstochter Dorothea Preiswerk und
Mathis Jacob, dem Pächter ihres Landguts Sankt Wendelin trat eher in den
Hintergrund.
Im Gespräch mit Moderator Valentin Herzog kam auch zur
Sprache, dass der Roman das aktuelle Thema der Fake News thematisiere.
Denn bekanntlich halte eine starke Fraktion in der Schweiz noch immer am
Heldenmythos fest.
(Jürgen Scharf, Die Oberbadische, 28. 4. 2018)
Andreas Neeser und Barbara Schirmer
(Dienstag, 20. März 2018, Einführung Edith Lohner, Kaleidoskop):
Begleitet von den bald heimelig vertrauten, bald eigenwillig
experimentierenden Klängen, die Barbara Schirmer ihrem grossen
Appenzeller Hackbrett entlockt, liest der Aargauer Schriftsteller
Andreas Neeser aus seinem kürzlich bei Zytglogge erschienenen
Dialekt-Prosaband Nüüt und anders Züüg. Zum Beispiel: Wenn e Kueh aso
dumm luegt – a was ligt au das? Als besonders geglückt bleibt in
Erinnerung die Erzählung von einer Frau, die, weil sie so abstossend
schlechte Zähne hat, niemals den Mund aufmacht, mit keinem Menschen im
Dorf spricht. Eines Tages verschwindet sie für einige Zeit. Nach der
Rückkehr geht sie zu allen Bekannten, erzählt, wie sie sich in Polen und
Tschechien ein strahlendes Gebiss hat machen lassen – und verfällt dann
wieder ihrem gewohnten Schweigen.
Es war ein feiner, humorvoller, facettenreicher Abend,
der das Publikum in Erinnerungen schwelgen liess und
nachdenklich-angeregt in den anschliessenden Apéro entliess.
(Rolf Spriessler, RZ 23. 3. 2018)
Alain Claude Sulzer (Dienstag, 6. Februar
2018, Moderation Katja Fusek) liest aus seinem jüngsten Werk Die Jugend
ist ein fremdes Land. Das Buch erzählt von Sulzers Jugend im Riehen der
1950er und 60er Jahre, hat aber keine durchgehende Handlung, sondern
besteht aus zahlreichen kleinen Episoden, die sich zu einem lebhaften
Mosaik fügen. Da ist vom stilvoll unbequemen Mobiliar im Elternhaus an
der Schlossgasse die Rede, von Ausflügen über den Hauenstein, von einer
Märchenaufführung (mit Trudy Gerster?) im Landgasthof, Ballettstunden
und schliesslich dem Versuch, zwei Diakonissen zum "rechten" Glauben zu
bekehren. Einige dieser Texte, bemerkte Sulzer zu Katja Fuseks Frage
nach der Entstehung des Buches, seien schon früher publiziert worden,
andere habe er neu geschrieben, als er merkte, dass er mit einem
grösseren Romanprojekt nicht recht vorankam und doch auch 2017 wieder
etwas veröffentlichen wollte. Das Publikum im bis zur letzten
Treppenstufe besetzten Kellertheater genoss Sulzers ebenso leichtfüssige
wie wirkungssichere Erzählkunst und dankte mit langem Applaus.
Alain Claude Sulzer hat wunderbar pointiert über seine
Kindheit geschrieben – besonders genossen zu haben scheint er sie nicht.
Und doch ist es ein Genuss, ihm beim Stöbern in seiner Kindheit
zuzuhören.
(Rolf Spriessler, RZ 9. Februar 2018)
Katja Fusek (Dienstag, 16. Januar 2018,
Moderation Valentin Herzog) stellt ihren kürzlich in der edition 8
erschienenen Roman Aus dem Schatten vor. Sie liest zunächst Passagen vom
Anfang des Romans, die deutlich werden lassen, wie entwurzelt eine
schon vor langer Zeit aus Prag geflüchtete Familie trotz äusserlicher
Integration immer noch ist. Im zweiten Teil des Abends, einer langen
Rückblende auf die glücklichen Kindertage der Hauptfigur Dagmar in Prag,
tritt die Thematik des Verlustes noch schärfer und beklemmender in den
Vordergrund.
Das "Weggehen" ist ein Thema, das sich durch viele Texte Fuseks zieht, sei es ein freiwilliger oder ein unfreiwilliger Aufbruch.
(Fabian Schwarzenbach, RZ. 19. 1. 2018)
Wie die verschütteten Geheimnisse, das Verschwiegene
und die Lebenslügen ans Licht kommen, schildert die Autorin sensibel und
berührend.
(Roswitha Frey, Badische Zeitung, 18. 1. 2018)