Rückschau 2012

Ursula Fricker (27. November 2012, Moderation Valentin Herzog). Ihr Roman "Ausser sich", der es bis auf die Shortlist zum Schweizer Buchpreis 2012 geschafft hat, ist eine packende Leseerfahrung. Die Autorin versteht es, mit ihrer virtuosen Erzähltechnik eine Figur zu schaffen, die einen nicht so schnell loslässt: Die Architektin Katja kämpft bis zum Äussersten um die Liebe zu ihrem durch eine Hirnblutung aufs schwerste behinderten Mann – und gegen die Versuchung: "Zur Tür hinausgehen, zuschliessen, weglaufen. Ihn da drinnen sich selbst überlassen."
"Ausser sich" ist schwerer Stoff. Und doch mit Leichtigkeit geschrieben … Ein grosser Wurf. Präsentiert an einem ARENA-Abend, der nicht nur Lesung war, sondern eine Begegnung. (Rolf Spriessler, RZ 30. 11. 2012)

Rolf Lappert (7. November 2012. Einführung Wolfgang Bortlik). Der Roman "Pampa Blues" spielt nicht in der Pampa, sondern nirgendwo in einem nordostdeutsche Kaff, wo Ich-Erzähler Ben seinen Grossvater pflegt und sich in die angeblich wegen eines angeblich vom Dorfwirt beobachteten Ufos angereiste "Journalistin" Lena verliebt. Lappert liest geschickt gewählte Ausschnitte aus dem mit viel Witz und Ironie geschriebenen, zweifellos in der Salinger-Tradition stehenden Buch, das ursprünglich als Drehbuch konzipiert war, dann nach Scheitern des Filmprojekts umgearbeitet und auf die Ich-Perspektive eines 16jährigen fokussiert wurde. Und Lappert liest gut, gestaltet sorgfältig und mit natürlichem Charme. Erfreulich viele junge Zuhörer.
Mit einem Flair für skurril-komische Situationen und schräge Charaktere schildert Rolf Lappert, wie sich das Leben im trostlosen Kaff abspielt … (Rolf Spriessler, RZ 16. 11. 2012)

Guy Krneta und Michael Pfeuti (25. Oktober 2012 im Kaleidoskop, Einführung Edith Lohner). Beruht die Wirkung der Texte von Guy Krneta auf ihrer atemlos schnellen berndeutschen Sprachmelodie, ihrer manchmal sehr listigen Situationskomik oder dem klugen Abbrechen im entscheidenden Moment? Die Geschichte von den zwei Selbstmördern auf der hohen Brücke etwa endet damit, dass der eine springt, nachdem er dem anderen die Verantwortung für seine Frau und sein weiteres Leben übergeben hat. Was wird er damit anfangen? Michael Pfeuti begleitet Krnetas Lesung sehr sensibel mit teils improvisierten, teils auskomponierten (Tim Löffler) Klangfolgen seines Instruments, eines "Bassetto", eines kleinen, fast celloähnlichen Kontrabasses.
"Zirkussymphonie" … ist eine verschachtelte Liebesgeschichte, hinter der mehr steckt als nur die Begegnung zwischen zwei Menschen. Also eigentlich ganz so wie der Auftritt von Guy Krneta und Michael Pfeuti. (Toprak Yerguz, RZ 2. 11. 12)


Thomas Meyer (13. September 2012. Einführung: Valentin Herzog) stellt seinen bereits für den Schweizer Buchpreis nominierten Erstlingsroman "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse" vor. Das mit vielen jiddischen Sprachelementen arbeitende Buch erzählz mit abgründigem Humor vom Ausbruch des jungen Mordechai Wolkenbruch aus dem Milieu der orthodoxen Judengemeinde in Zürich, wo die Mütter regieren, die Männer schwarze Anzüge, Schläfenlocken und Käppchen tragen. Wenn er sich in eine nichtjüdische Kommilitonin – eben eine "Schickse" – verliebt, sich rasiert, modische Kleider anzieht, wird er für "verloren" erklärt und acht Tage lang wie ein Verstorbener betrauert.

Thomas Meyer erzählt in einem charmant ironisierenden Ton, wechselt zwischen Schriftsprache und häuslichem Jiddisch, wodurch die "wunderliche Reise" zur unbeschwert unterhaltsamen Lektüre wird. (Nikolaus Cybinski, RZ 21. 9. 12)

Expressionismus & Dada (23. August 2012; eine ironische Blütenlese von und mit Wolfgang Bortlik, bildlich unterstützt von Lea Meier). Wolfgang Bortlik, seit der Schulzeit ein Kenner und Liebhaber der expressionistischen Dichtung und ihres illegitimen Sohnes Dada, hat für das diesjährige ARENA-Heft eine eigenwillige Auswahl von – jeweils durch eine Kurzbiographie und ein Portrait ergänzten – Texten aus den Jahren zwischen 1910 und 1930 zusammengestellt. Nicht das berühmt-berüchtigte "O Mensch"-Pathos hat es ihm angetan, sondern der manchmal verzweifelte Witz, mit dem die Dichter und Dichterinnen dieser Generation sich gegen die bürgerliche, von Profitgier und Nationalismus geprägte Gesellschaft auflehnen. Sieben dieser Autor/innen stellt er zur Saisoneröffnung jeweils mit einer kurzen, sehr persönlichen Würdigung, mehreren lyrischen Texten und reichem Illustrationsmaterial vor. Unter dem Titel "Finster wird der Himmelsklumpen" kamen so Alfred Lichtenstein, Jakob van Hoddis, Emmy Hennings, Ferdinand Hardekopf, Albert Ehrenstein, Franziska Stoecklin und Hans Arp in die ARENA.

Bortliks persönlicher Blick auf den literarischen Expressionismus hat tief beeindruckt. (Rolf Spriessler, RZ 31. 8. 12)

Sandra Hughes (7. Juni 2012, Einführung/Moderation Katja Fusek). Im lockeren Wechsel von Gespräch und Lesung präsentiert Sandra Hughes (den Namen hat sie von ihrem amerikanischen Vater, sie selbst ist in Luzern aufgewachsen) ihren neuen, dritten Roman: "Zimmer 307". Er schildert in enger Verflechtung der Ebenen das diesseitige wie das jenseitige Leben einer gewissen Felicitas, die auf Erden nach glücklicher Kindheit, unglücklicher Jugend einem genialisch tuenden Womanizer (Domenico) verfällt, sich seinetwegen die Pulsadern aufschneidet, im Fegefeuer ("Supervision F"), sich dort energisch zur Abteilungsleiterin hocharbeitet, um sich schliesslich an ihrem ungetreuen Lover zu rächen – oder ihm erneut zu verfallen. Hughes liest ihren pointenreichen, oft recht boshaften Text schnell und lebhaft und gibt auf die Fragen der Moderatorin wie des Publikums offenherzige Antworten.

Hughes hat eine ganz eigene Art zu erzählen: einfühlsam, witzig und immer wieder überraschend … Sie beschreibt ihre Figuren zwar schonungslos, aber ohne sich über sie lustig zu machen.
(Michèle Faller, RZ 15. 6. 12)

Peter Mathys (10. Mai 2012, Einführung Valentin Herzog). "Ein bisschen Steuern sparen – ja wer tät's nicht gerne." So denken jene drei vermögenden Basler, die Peter Mathys in seinem neuen Roman mit feiner Ironie porträtiert. Ihr Pech: Sie werden von einem windigen, seines Berufes und seiner Ehe überdrüssigen Beamten erpresst, laden Millionen auf dessen Konto in Liechtenstein ab, versuchen dann aber, ihr Geld zurückzubekommen. Zuletzt liegt eine Leiche in einem vornehmen Londoner Hotel. Mathys erzählt mit (scheinbar) leichter Hand, Sinn fürs treffende Detail und feinen poetischen Glanzlichtern.

Mathys geizt nicht mit Spitzen gegen die Klasse der gut situierten Akademiker wie gegen den Staat. … Er vermag Spannung wie Atmosphäre zu stiften.
(Siegfried Schibli, BaZ, 13. 4. 12)
Mathys liest den Anfang einer verstrickten Geschichte, die schon zu Beginn einige unerwartete Wendungen nimmt … fängt Stimmungen ein, zeichnet Charaktere einfühlsam und anschaulich nach.
(Rolf Spriessler, RZ 18. 5. 12)

Patrick Tschan (17. April 2012, Einführung Wolfgang Bortlik). "Keller fehlt ein Wort" ist die Geschichte eines Kommunikationsberaters, der eines Tages feststellen muss, dass er unter zunächst schleichender Aphasie leidet, immer mehr alltägliche Wörter verliert. Ein Schlaganfall macht ihn dann gänzlich zum stammelnden, nur noch unklare Laute formulierenden Opfer dieser Krankheit. Doch er nimmt den Kampf dagegen auf. Mit trockenem Humor und viel Phantasie findet Tschan Worte für den Verlust der Wörter.

Der Allschwiler Autor zog sein Publikum mit seiner Geschichte und seiner sympathischen Hauptfigur sogleich in seinen Bann …
(Michèle Faller, RZ 20. 4. 12)

Charles Lewinsky (27. März 2012, Einführung Wolfgang Bortlik). Der Autor hat das tragische Schicksal des jüdischen Schauspielers und Regisseurs Kurt Gerson (o. Gerron) als Vorlage für seinen grossen neuen Roman "Gerron" benützt, mit dem er in die Shortlist zum Schweizer Buchpereis 2011 kam. Gerson, der u. a. im "Blauen Engel" spielte, den Mackie Messer sang und zahlreiche unterhaltsame Filme drehte, floh nach der Machtübernahme nach Holland, wurde dort 1940 von der Gestapo verhaftet, 1943 nach Theresienstadt verbracht, wo er einen Propagandafilm über das gute Leben im KZ drehen muss. Im Oktober 1944 wird er in Auschwitz ermordet.

Lewinskys Text packt. Sein Vortrag fasziniert. Man sieht Kurt Gerron geradezu vor sich sitzen, wie er mit sich ringt – und denkt nach über eine furchtbare Zeit …
(Rolf Spriessler, RZ 30. 3. 12)

Lukas Hartmann (13. März 2012, Einführung: Valentin Herzog) Der zu den wichtigsten Hausautoren der ARENA gehörende Autor stellt seinen brandneuen Roman "Räuberleben" vor.
"Räuberleben" spielt gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zeigt einen wenig bekannten Ausschnitt aus der sozialen Realität jener Zeit, nämlich das Dasein gesellschaftlich geächteter Gruppen (Jenische, Zigeuner, Landstreicher), die nur dank krimineller Aktivitäten überleben können, zugleich aber gnadenlos von den Behörden gejagt und bestraft werden. Differenziert zeichnet der Autor die Wurzeln des modernen Polizeistaates – und des rassistischen Wahnsinns.
Eine angeregte Diskussion folgte der wie immer hervorragend gestalteten Lesung.

Mit "Räuberleben" beweist Hartmann ein weiteres Mal sein Flair für historische Romane … [und] legt ein weiteres wichtiges Buch vor. (Rolf Spriessler, RZ. 16. 3. 2012)

Katja Fusek und Valentin Herzog (14. Februar 2012, Einführung Markus Ramseier). Das seit fast zehn Jahren zusammen arbeitende Autorenpaar stellt seinen ersten in Gemeinschaftsarbeit geschriebenen, kürzlich im OSL Verlag erschienenen Roman vor: "Mare blu. Eine Liebesgeschichte mit Homer". Gelesen werden kurze Passagen aus der im heutigen Sizilien spielenden Rahmengeschichte und zwei längere Episoden, die den antiken Sagenstoff modern variieren: Odysseus' Reise zu den Pforten der Unterwelt und Penelopes Rendezvous mit einem ungemein attraktiven Fremden.
Ein bemerkenswertes Experiment … Den beiden Autoren gelingt es in überzeugender Weise, eine klassische Sage (Homers "Odyssee") mit aktuellen Beziehungsfragen und gesellschaftspolitischen Themen zu verknüpfen.“ (Markus Ramseier)

Der Text packte auch in vorgelesener Form, und so ist es folgerichtig, dass Herzog und Fusek über eine Hörspielfassung nachdenken.  (Rolf Spriessler, RZ 17. 2. 2012)


Markus Manfred Jung (19. Januar 2012 im Kaleidoskop. Einführung Edith Lohner). Der bekannte, im Wiesental lebende Mundartautor liest zuerst Gedichte aus dem kürzlich erschienenen Lyrikband "verfranslet diini flügel", Texte, die grossenteils dem "Quaag", dem Raben gewidmet sind, ferner Gedichte aus "Am gääche rank" und satirische Prosa aus dem Band "Verruckt kommod". So taucht das Publikum der gut besuchten Veranstaltung genussvoll in die Klang- und Wortwelt des uns so nahen und doch vom Baseldeutsch klar sich unterscheidenden Wiesentäler Dialekts ein.

Liebenswerte und doch kritische Alltagsgeschichten waren es, die die Lesung abschlossen, immer wieder aufgelockert durch spanische Rhythmen und Melodien, die Sabine Ging-Jung, eine ausgewiesene Konzertgitarristin beisteuerte.
(Rolf Spriessler, RZ 27. 1. 2012)