Rückschau 2019
Daniel de Roulet (Mittwoch, 4. 12.,
Moderation Katja Fusek) liest aus seinem neuesten Werk: Wenn die Nacht
in Stücke fällt – Ein Brief an Ferdinand Hodler. Es ist ein persönlicher
und tief berührender Brief, in dem es um die Begegnung Hodlers mit
Valentine Godé-Darel geht und um ihr qualvolles Sterben, das der Maler
in Hunderten von Zeichnungen und Bildern dokumentiert hat. De Roulets
Text zeugt von grossem Einfühlungsvermögen und vor allem auch von
grenzenloser Bewunderung für Hodlers Malkunst.
Ferdinand Hodler habe trotz der traurigen
Situation das Malen nicht aufgegeben, im Gegenteil: "Er hat sie sich
sogar zu Nutze gemacht." Der Schriftsteller liess einige Werke Hodlers
projizieren, auf denen die sterbende Valentine zu sehen ist. Der Verlust
ihrer Körperkräfte sticht sowohl aus den Bildern als auch aus der
Erzählung heraus.
(Nathalie Reichel, RZ 13. 12. 2019)
Heinrich Steinfest (Dienstag, 12.
November, Moderation Armin Zwerger) präsentiert seinen jüngsten
Kriminalroman Der schlaflose Cheng, in dem der einarmige Wiener Detektiv
Markus Cheng unter grossen Schwierigkeiten die Unschuld eines
flüchtigen Bekannten beweist. Dieser nämlich ist angeklagt, den Weltstar
A. Wake (dessen deutsche Synchronstimme er ist) in London ermordet zu
haben. Wie das gelingt und warum Cheng bis nach Island und Grönland
reisen muss wäre in Steinfests Buch nachzulesen, das alle vorkommenden
Charaktere, aber auch gesellschaftliche Situationen, Landschaften … mit
wunderbarer Plastizität zeichnet.
Schon die erste vorgelesene Passage verriet, dass
Steinfest viel Wert auf Beschreibung legt. Der Leser solle sich selbst
ein Bild der Figuren machen, erklärte der Autor. So beschreibt er, wie
der Hund von Markus Cheng aussieht … wie dieser seinen Arm verloren hat
und wieso ihn genau das komplett macht.
(Nathalie Reichel, RZ 15. 11. 2019)
Ursula Rychen (Dienstag, 15. Oktober,
Kaleidoskop, Einführung Edith Lohner) liest aus ihrer Textsammlung
Synerzyt ebenso heitere wie besinnliche Erinnerungen an das Basel ihrer
Kinder- und Jugendzeit, als Mädchen im Handarbeitsunterricht noch
Schürzen nähen und diese dann im Schulalltag tragen mussten, als ein
schwarzes Telefon mit Wählscheibe an der Wand hing, als es noch
Seelewermerli gab und auf der Wettsteinbrücke grimmige Basilisken
standen. Mit leisem Humor und Situationskomik lässt Ursula Rychen die
damalige Zeit wieder aufleben. Das Kellertheater war fast bis zum
letzten Platz besetzt und das Publikum genoss Rychens Vortrag.
Die auf Baseldeutsch verfassten Geschichten wirkten
derart spontan, dass Rychen den Eindruck erweckte, sie sitze vor dem
Publikum und erzähle von ihrer Kindheit aus dem … Herzen heraus.
(Nathalie Reichel, RZ 18. 10, 2019)
Patrick Tschan (Donnerstag, 19. September,
Moderation: Wofgang Bortlik) liest amüsante Szenen aus seinem
«Schelmenroman» (Bortlik) Der kubanische Käser: Noldis Anwerbung, seine
Heldentat, sein groteskes Verhör durch die Inquisition und schliesslich
seine Aktivitäten als Kuhhirt und Käser in Kuba. Zwischendurch
unterhaltre sich Autor und Moderator unter anderem über die historischen
Hintergründe und gewisse spanische Wendungen, wobei Tschan
nachdrücklich, aber nicht ganz ernst darauf beharrt, alles von den
Veltliner-Wirren bis hin zu Einzelheiten der Käseherstellung genauestens
recherchiert zu haben. Ein schelmenhaft heiterer Abend.
Die Lesung war dem Schreibstil des Autors ähnlich:
spannungsvoll mit humoristischen Elementen. Die Sprache ebenfalls:
Hochdeutsch mit Ausdrücken aus der Mundart. […] «Auf Kuba aus Kühen Käse
machen», fasste Bortlik zusammen. «Eine bezaubernde Idee.»
(Nathalie Reichel, RZ 27. 9. 19)
40 Jahre ARENA im Dienst der Literatur
(Donnerstag, 29. August 2019 im Lüschersaal. Moderation Valentin Herzog).
Seit ihrer ersten Veranstaltung im Januar 1979 hat die im
Herbst 1978 gegründete ARENA an die vierhundert Veranstaltungen mit
annähernd ebenso vielen Autorinnen und Autoren durchgeführt, wobei es
dem ehrenamtlich arbeitenden Vorstand darauf ankam, nicht nur Prominente
aus dem In- und Ausland nach Riehen zu holen, sondern auch jungen
Talenten und wichtigen Stimmen aus der Regio eine Bühne zu bieten, den
kritischen Diskurs zu beleben und ausgewählte Autoren aus früheren
Epochen zu Wort kommen zu lassen. Für die Jubiläumsveranstaltung haben
sieben Autorinnen und Autoren (Wolfgang Bortlik, Katja Fusek, Valentin
Herzog, Sandra Hughes, Verena Stössinger, Markus Ramseier und Alain
Claude Sulzer) kurze Arena-Texte geschrieben. Sechs von ihnen haben ihre
teils heiteren, teils nachdenklichen Arbeiten am 29 August vorlesen.
Der siebte Autor, Markus Ramseier, ist leider am 21. Juli seiner
tückischen Krankheit erlegen. Wir haben mit der Lesung seines Textes
dieses eigenwilligen Schriftstellers und guten Freundes gedacht.
Es war ein stimmiger Abend zum Arena-Jubiläum und gleichzeitig der Start zur neuen Saison … (Rolf Spriessler, RZ 6. 9. 2019)
Volles Haus gab es bei der Jubiläumslesung mit mehreren
Literaten, die sinnbildliche Texte über das Thema Arena verfasst haben.
(Roswitha Frey, Badische Zeitung, 3. 9. 19)
Martin R. Dean (Dienstag, 18. Juni,
Moderation Wolfgang Bortlik) stellt seinen jüngst erschienenen Roman
Warum wir zusammen sind vor, die verzweigte Geschichte von fünf
befreundeten Paaren in der Zeit von 1999-2016. Dean konzentriert sich
aud die beiden Hauptfiguren Irma und Marc, die als glückliches Ehepaar
beneidet werden, zuletzt aber auch auseinandergehen: Dass ihr Sohn Matti
mit ihrer besten Freundin Evelyne geschlafen hat, ist ein Schock, der
die Beziehung in ihren Grundfesten erschüttert, fast mehr noch als die
Tatsache, dass auch Marc … Deans Pessimismus kennt keine Grenzen. Und
obszön sei nicht der Roman, den Irma gerade übersetzt, obszön sei die
Gesellschaft an sich.
Die Erzählungen in «Warum wir zusammen sind» beinhalten
eine hohe Dosis an Realität. Bewusst werden alltägliche Situationen der
Paare beschrieben, die nicht immer romantisch sind und schon gar nicht
versichern, dass es ein Happy End geben wird.
(Nathalie Reichel, RZ 21. 6. 2019)
Charles Lewinsky (Dienstag, 21. Mai,
Einführung Valentin Herzog) ist mit seinem jüngsten Roman Der Stotterer
in der ARENA zu Gast. Er erzählt darin von einem gewissen Hosea Stärkle,
der, durch ein sektenfrommes Elternhaus geschädigt, seit seiner
Kindheit stottert und dennoch als Hochstapler, Enkeltrick-Betrüger und
schliesslich im Gefängnis als Drogen liefernder Bibliothekar reüssiert –
nicht zuletzt dank seines Padre und eines mächtigen Mafia-Bosses.
Lewinsky erzählt das alles mit der gewohnten Anschaulichkeit, aber auch
mit grimmigem Humor, der weder vor der gern zitierten Bibel, noch vor
Schopenhauer Halt macht und auch den hochgradig kommerzialisierten
Literaturbetrieb nicht verschont. Daneben gibt es auch sehr anrührende
Passagen, etwa wenn Hosea vom Tod seiner Schwester spricht.
Als Zuschauer hatte man den Eindruck, Lewinsky lese gar
nicht vor, sondern erzähle frei, derart einfach und alltäglich sind die
gewählten Worte … Trotz seiner misslichen Lebenslage bleibt er (Hosea)
humorvoll, was das Publikum in der ARENA immer wieder zum Schmunzeln
brachte.
(Nathalie Reichel, RZ 24. Mai 2019)
Wolfgang Bortlik (Donnerstag, 9. Mai,
Moderation Valentin Herzog) stellt seinen neuesten, seinen vierten
Basler Kriminalroman Uferschnee vor. Hauptperson ist wieder der bekannte
Gelegenheits-Detektiv, Literat, Anarchist und Eigenbrötler Melchior
Fischer. Diesmal geht es um einen toten Kokainschmuggler, ein
verschwundenes Paket des kostbaren Stoffs (=Schnee), Fischers Tochter
und zwei zwielichtige Figuren aus der besten Basler Gesellschaft.
Mindestens so wichtig wie die eigentliche Kriminalhandlung sind die
Schlaglichter, die der Autor auf Themen wie Mietpreiswucher, Fussball,
den Literaturbetrieb und mancherlei Bausünden fallen lässt.
Der Abend bot eine gute Gelegenheit, Wolfgang Bortlik
als Person besser kennenzulernen, und es machte Lust, mehr von diesem
wunderlichen, durchaus selbstkritischen Mann zu lesen, der von sich
sagt, er habe es geschafft, sich am Rand der Armutsgrenze durchzumogeln
und sich ein gutes Leben einzurichten …
(Rolf Spriessler, RZ 17. Mai 2019)
Anita Hansemann (Dienstag, 19. März,
Moderation Katja Fusek) präsentiert ihren Erstlingsroman Widerschein
(Verlag bücherlese) mit längeren Passagen aus ihrem wuchtigen und
mitreisssenden (Katja Fusek) Werk. Dabei waren es vor allem jene in
einer katastrophalen Lawinen-Nacht spielenden Szenen, welche die die
Zuhörer in ihren Bann zogen, denn sie zeichnen die grausame Realität der
Bündner Bergwelt im Kontrast zu den zarten (und verbotenen) Gefühlen
zwischen der aufsässigen Bauerntochter Mia und dem verfemten Jenischen
Viid. Gekonnt verflicht die Autorin das Schicksal ihrer Protagonisten
mit der von Sagen, Aberglauben und Naturgewalten geprägten Bergwelt St.
Antöniens, wo sie selber aufgewachsen ist.
Das Besondere an diesem Buch ist, dass die Natur eine
ganz besondere Rolle einnimmt, nämlich die der Protagonistin. Wie die
Autorin betonte, gäbe es die Handlung ohne die Natur gar nicht. […]
Widerschein … lädt auf eine spannungsreiche Bergreise ein, verbindet
eine Liebesgeschichte mit uralten Sagen und ist deshalb auch ein Teil
Schweizer Geschichte.
(Nathalie Reichel, RZ 22. 3. 2019)
Carl Spitteler (Soirée am Sonntag, 17
Februar, Einführung Nicole Hausammann): Aus Anlass des hundertsten
Jahrestages der Nobelpreisverleihung an den seinerzeit hochberühmten
Schweizer Autor liest und kommentiert Helen Liebendörfer ausgewählte
Texte unter anderem aus Spittelers Kindheitserinnerungen, aus seinem
Roman Imago, aus seinen Reise-Schilderungen und aus seiner
programmatischen Rede Unser Schweizer Standpunkt. So entsteht das Bild
eines traditionsbewussten, dabei aber nicht unkritischen und durchaus
auch humorvollen Autors. Frieder Liebendörfer umrahmt die Lesung mit
kurzen Klavierstücken von u. a. Bach, Chopin und Mozart. Lebhafter
Applaus im gut besetzten Lüschersaal der Alten Kanzlei.
Helen Liebendörfer … liess Spitteler als einen
selbstbewussten, aber auch selbstkritischen Menschen wirken, erzählte
Lustiges wie Nachdenkliches, zitierte sowohl aus seiner vielbeachteten
Rede «unser Schweizer Standpunkt» … als auch aus der «Ballade vom
lyrischen Wolf», die sie als heiteren Schlusspunkt nahm.
(Rolf
Spriessler, RZ 22. 2. 2019)
Dominic Oppliger (Donnerstag 17. Januar, Kaleidoskop, Einführung Wolfgang Bortlik) liest zwei Passagen aus seinem Spoken-Script-Text acht schtumpfo züri empfärnt –
Gedanken und Erinnerungen eines Mannes auf einem Bahnhofsplatz 8
Stunden von Zürich: Erste Liebe, Nesselfieber, Geschichte des
papierlosen Mohamed, Begegnung mit einem Schriftsteller, dem er per
Nachtsichtgerät beim «Vögeln» zuschaut. Die Texte leben vom Wortwitz,
der in der geschriebenen Fassung womöglich noch stärker, wenn man z. B.
herausfinden muss, dass das Wort Käsekunde nicht etwa Caseologie
bedeutet, sondern kä Sekunde.
Der Schluss von Oppligers leichtfüssiger und doch viele
Aspekte des modernen Lebens streifender Geschichte ist nachzulesen in
seinem Buch (Verlag Der gesunde Menschenversand). Dank eines
leserfreundlichen Satzes in kurzen Zeilen erschliesst es sich auch dem,
der Mundart lieber hört als liest.
(Valentin Herzog, RZ 25. 1. 2019)