Rückschau 2002
Michel Martin (29. Januar, Kellertheater im
Haus der Vereine, Einführung Marcel Mertz) berichtet mit hervorragendem
Bildmaterial über seine Erfahraungen bei der Erforschung eines
umstrittenen Phänomens, nämlich der so genannten "Kornkreise", wie sie
vor allem in England immer häufiger zu beobachten sind.
Das Kellertheater war übervoll besetzt. Ein interessanter
Abend, bei dem für einmal die (Schrift-?)Zeichen nicht ausgelegt wurden,
sondern im Raume stehen blieben – im wahrsten Sinne des Wortes
Fragezeichen.
(Franz Osswald, RZ, 1. 2. 02)
Peter Stamm (12. März, Gartensaal im Haus der
Vereine, Einführung Iren Nussberger) liest aus seinem neuen Roman
"Ungefähre Landschaft", der vom Schicksal der jungen Zöllnerin Kathrine
in einem nordnorwegischen Dorf erzählt.
Peter Stamm wird für seine knappe Sprache gelobt. Ähnlich
knapp agierte er bei der Lesung. Ohne grosse Umschweife begann er zu
lesen. Er fuhr fort, ohne aufzublicken, und zog das Publikum hinein in
die von ihm mit wenigen Worten präzis wiedergegebene Landschaft im hohen
Norden.
(Judith Fischer, RZ, 15. 3. 02)
Manfred Jung (16. April, Foyer des
Lüscherhauses, Einführung Edith Lohner) liest unter dem Motto "verruckt
kommod" Gedichte und Prosatexte in seiner alemannischen Mundart.
Das Vorurteil, dass Mundartliteratur weniger anspruchsvolle
Literatur sei, existiert noch immer. Deshalb tun Gegenbeweise immer
wieder gut. Ein eindrücklicher Gegenbeweis war der KALEIDOSKOP-Abend ...
musikalisch begleitet von der Gitarristin Sabine Ging-Jung, die passend
zu den Texten mal filigran, mal temperamentvoll spielte.
(Judith Fischer, RZ, 19. 4. 02)
Hanna Johansen (24. April, Kellertheater,
Einführung Renate Löffler) stellt ihren neuen Roman vor, dessen
80jährige Haupt- und Titelfigur Lena vergeblich versucht, ihrer "Nichte"
Phia die lange verschwiegene Wahrheit zu eröffnen, dass sie in
Wirklichkeit ihre Tochter ist.
Würde Hanna Johansen nicht schreibend über diese
Zwischentöne verfügen, die sonst niemand hat, so würde sich angesichts
der beiden (Lebens-)Lügen-Geschichten ständig die Frage nach ihrer
Plausibilität stellen. Mit und dank den Zwischentönen ist alles ganz von
selbst genau so, wie es erzählt wird: glaubwürdig, plausibel, verrückt,
ver-rückt!
(Heinz Schafroth, BaZ, 12. 4. 02)
Andreas Schendel (13. Juni, Haus der Vereine,
Einführung Valentin Herzog) präsentiert seinen eben erschienenen Roman
"Fluchtpunkt", die Geschichte eines Liebespaares, das inmitten der
Wirren des Zweiten Weltkriegs versucht, sein privates Pariser Idyll zu
bewahren – bis die Gestapo zuschlägt.
Schendel möchte zeigen, wie der Einzelne, auch wenn er noch
so unauffällig zu leben versucht, durch die Ereignisse seiner Zeit
geprägt, wenn nicht gar geschädigt wird. Es ist eine traurige Geschichte
... aber auf wundervolle und einfühlsame Weise erzählt.
(Anaïs Henssler, RZ, 21. 6. 02)
Ingeborg Kaiser (27. August, Kellertheater,
Einführung Valentin Herzog, musikalische Gestaltung Benjamin Herzog)
feiert anlässlich der ARENA-Jahresversammlung die Vernissage ihres
neuesten Werkes "Ró?a und die Wölfe. Biographische Recherche zu Rosa
Luxemburg". In dem facettenreichen Roman wird das Bild der vielgehassten
und ebenso heftig bewunderten Revolutionärin aus der Perspektive einer
modernen Frau kunstvoll und bestürzend lenbendig nachgezeichnet.
Ein Roman? Eine Biographie? Das Buch ist wohl beides, und
zugleich mehr, etwas durchaus Eigenständiges und Neues, auch darum, weil
es auf und mit drei Ebenen spielt ...
(Martin Zingg, BaZ, 29. 8. 02)
Roman Bucheli, Martin R. Dean und Alexandra Stäheli
im Kritikergespräch (10. September, Lüschersaal im Haus der Vereine,
Moderation Valentin Herzog). Unter dem provozierenden Titel "Tod eines
Autors" diskutiert das prominent besetzte Podium über Martin Walsers
umstrittenen Roman "Tod eines Kritikers", über die Frage, ob man "mit
dem Antisemitismus spielen" darf und grundsätzlich über das ambivalente
Verhältnis zwischen Autoren und Kritik.
Im Weiteren diskutierten die Podiumsteilnehmer allgemein
über die Rolle und Aufgabe der Literaturkritik und das Verhältnis
zwischen Literaturkritiker .. und Autoren. Und im Speziellen
diskutierten sie über das Verhältnis von Martin Walser ... zum sich zum
Literaturpapst ernannt habenden Marcel Reich-Ranicki ...
(Judith Fischer, RZ, 13. 9. 02)
Joachim Latacz (19. September, Wenkenhof,
Einführung Thomas Wilhelmi) stellt dem ARENA-Publikum sein
vielbeachtetes Buch "Troja und Homer" vor, berichtet über den aktuellen
Stand der Ausgrabungsarbeiten in Troja und über die derzeit mit
akademischem Ingrimm geführte Debatte über die historische Bedeutung der
Stadt und des homerischen Epos.
Als Folge der Grabungen des Tübinger Archäologen Manfred
Korfmann in Troja wurde das Thema Troja und Homer ... wieder aktuell.
[...] Homers "Erzählsubstanz ist wohl mykenisch", sagt Latacz. Das
wiederum macht die Schlussfolgerung zwingend: "Homer ist ernst zu nehmen."
(Nikolaus Cybinski, RZ, 27. 9. 02)
Katja Fusek (22. Oktober, Kellertheater,
Einführung Valentin Herzog) liest aus ihrem ersten Roman
"Novemberfäden", der von früher Entwurzelung (die in Prag geborene
Autorin kam schon als junges Mädchen nach Basel), vom Fremdsein in der
Fremde, vom Fremdwerden in der alten Heimat und vom schmerzlichen
Verlust alter Beziehungen erzählt. Es war die allererste Lesung der
jungen Autorin, deren Auftritt von der Basler Zeitung als
"bemerkenswertes Debut" gefeiert wurde.
Wie Katja Fusek von dieser Liebe las, wurde nochmals klar,
wie gut ihr zartes Vorlesen zur Geschichte passte. Das Publikum dankte
mit einem langen, herzlichen Applaus.
(Judith Fischer, RZ, 25. 10. 02)
Emma Guntz (12. November, Kellertheater,
Einführung Edith Lohner) liest an dieser vom KALEIDOSKOP organisierten
Veranstaltung unter anderem aus ihrem Erinnerungsbuch "Hasen sterben
lautlos".
In kurzen Texten lässt sie Erlebnisse aus ihrer Kindheit
aufleben: das Heulen der Sirenen, die ersten Buchstaben, die Dorfschule
im Ort der Grossmutter, der erhängte Soldat, den das Wort "Verräter"
brandmarkt, die Eltern, die keine Fragen beantworten ...
Schriftstellerisch am überzeugendsten war die Beschreibung ihrer sehr
alten, kranken Mutter im Rollstuhl. Hier hat ihre Sprache die
erbarmungslose Präzision, die dem Thema gerecht wird. Befreit von allem
Reflektieren und Deuten entsteht ein Stück Prosawirklichkeit ...
(Nikolaus Cybinski, RZ, 15. 11. 02)
Paul Celan (21. November, Kellertheater,
Einführung Lea Meier) war die letzte ARENA-Veranstaltung des Jahres
gewidmet. Zusammen mit Laurent Charles (Kontrabass) und Ingeborg Poffet
(Accordeon) rezitiert der Basler Schriftsteller Freddy Allemann Texte
des grossen Lyrikers.
Auch später, als sich Freddy Allemann ... ins tönende
Treiben einmischte, entstand nie der Eindruck einer "Lesung mit Musik".
Die drei Stimmen standen gleichberechtigt nebeneinander, gingen
aufeinander ein, fragend, antwortend, sich gegenseitig umschmeichelnd,
um im nächsten Moment wild übereinander herzufallen und schliesslich
temporeich und dramatisch in einem gemeinsamen Höhepunkt zu münden.
(Sibylle Meyrat, RZ, 29. 11. 02)